Schlaflos in Le Mans
24 Heures Vélo in Le Mans
"Das Schöne am Fahrradfahren ist, dass man in der Gegend herumkommt". Das ist jedenfalls immer eines meiner unschlagbaren Argumente, wenn ich mich mit einem Läufer unterhalte und wir die Vor- und Nachteile der jeweiligen Sportart diskutieren. Während ein Rennradfahrer in 2-3 Stunden einen Umkreis von 50 oder mehr Kilometern beackern kann, steht dem Läufer in der gleichen Zeit meist nur ein relativ kleines lokales Gebiet zur Verfügung. Diese Abwechslung schätze ich am Radfahren sehr, denn selbst in den vielen Jahren, die ich diesen Sport betreibe, entdecke ich regelmäßig neue Strecken und Landschaften.
Warum?
Nun werde ich aber dieses Argument leider von meiner Liste streichen müssen, denn wer so bescheuert ist, 40x auf einer Rundstrecke mit einem Radius von 652m im Kreis zu fahren, hat jeglichen Anspruch darauf verloren, dieses ins Feld zu führen. Aber warum um alles in der Welt tut man sich sowas an? Die Antwort lautet schlicht und einfach: Aus Verzweiflung!
Der ein oder andere dürfte es bereits mitbekommen haben, dass bei mir im Oberstübchen etwas nicht ganz in Ordnung ist. Anders ist es kaum möglich dass ich Wochen und Monate im Sattel meines Rennrades verbringe, nur um mich zweifelhaften Herausforderungen zu stellen. Diese liegen meist auf norwegischem Gebiet und führen von Trondheim nach Oslo. Durch die widrigen Umstände bei meiner letzten Styrkeproven Teilnahme und der damit verbunden Erfahrung, dass selbst bei bester Vorbereitung nicht immer alles glatt läuft, war eine Kompensation von Nöten. Mein von Testosteron getriebener, pathologischer Ehrgeiz war erheblich angeschlagen und so brauchte es neue Beweise meiner Stärke. Zu meinem Glück habe ich Freunde vom gleichen Schlag und so dauerte es nicht lange bis Berti - seines Zeichens Läufer, Mountainbiker, Triathlet, Stahlrahmen-Liebhaber, usw - auf mich zukam und mich fragte, ob ich nicht mit ihm am 24h Rennen in Le Mans teilnehmen möchte. Dieses Rennen war mir bislang nur vom Motorsport bekannt, ist aber auch für Rennradfahrer eine feste Größe im jährlichen Veranstaltungskalender. Ohne Rückfrage mit meiner Frau habe ich spontan und freudig "JA" gesagt.
Nun klingt ein 24h Rennen zunächst einmal für den "normalen" Menschen total abgedreht, zumal sich dieses auf einem Rundkurs von ca. 4,1km Länge bewegt. In der Tat muss ich gestehen, dass selbst ich mir nicht vorstellen könnte, 24h lang im Kreis zu fahren. Das weiß auch der Veranstalter und hat das Rennen nicht nur für Einzelfahrer sondern auch für Mannschaften unterschiedlichen Umfangs geöffnet. So kann man auch als 2er, 4er, 6er oder 8er Team starten. Jedes Team hat genau einen Transponder für die Zeitmessung, der beim Wechsel des Fahrers einfach mit übergeben wird.
Berti ist einer der Mitorganisatoren seiner Firma "Schneider Electric" die an diversen Lauf- und Radveranstaltungen in ganz Europa teilnehmen. Da firmenintern noch Startplätze frei waren, konnte ich kostenfrei mitfahren und bekam noch ein komplettes "Schneider" Outfit obendrein.
Die 30 Fahrer wurden auf 5 Mannschaften zu jeweils 6 Fahrern verteilt. Zudem war die interne Regelung so, dass jeder ca. 1 Stunde fährt und dann wieder 5 Stunden Pause hat. "Das klingt harmlos" dachte ich mir zunächst, da komme ich ja in den 24 Stunden nur zu 4 Einsätzen. Stimmt, allerdings fährt man die Stunde nicht relativ gemütlich wie bei einem Langstreckenrennen sondern es geht - wie bei einem Rennen üblich - um Leben und Tod, oder noch viel wichtiger, um Ehre! Nachdem wir am Freitag mit einem Schneider Firmenwagen angereist sind, trafen wir uns auf dem Camping Areal der LeMans Rennstrecke mit den anderen Team Mitgliedern, die im Laufe des Tages nach und nach eintrudelten. Während wir Zelt, Tisch und Stühle aufgebaut haben, waren die Engländer schon dabei das Barbeque zu präparieren was traditionsgemäß damit begann, einige Flaschen Kronenbourg aus dem Partypack zu öffnen. Später am Abend rückten dann auch noch die Holländer an, gemäß ihres Naturells und zur Bestätigung aller Klischees, natürlich im Camping-Mobil. Kurz: Es wurde ein lustiger Abend.
Warm-Up
Am Tag darauf war es dann soweit. Die Rennstrecke wurde für die ersten Testfahrten freigegeben. Es ist schon irgendwie ein seltsames Gefühl auf einem Motorsport-Kurs seine Runden zu drehen. Ein klarer Vorteil ist aber, dass der Asphalt in perfektem Zustand ist. Lediglich der Gummibelag der durch den Reifenabrieb der Renn-Boliden die gesamte Strecke überzogen hat, sorgt bei Nässe für schwierige Verhältnisse. Aber es bleibt ja trocken, oder etwa nicht?
Das Streckenprofil sieht vor, dass kurz nach dem Verlassen des Startbereichs ein ca. 300m langer Anstieg mit 5-7% zu überwinden ist. Die restliche Strecke ist dann leicht abschüssig und windet sich in vielen 90 und 180° Kehren wieder zurück auf die Zielgerade. Das tückische an dem Rundkurs ist allerdings, dass nach der ersten 180° Kurve, meist ein starker Wind entgegen kommt und somit das Gefälle mehr als neutralisiert wird. Deshalb ist die Strategie meist so, dass man am Anstieg alles gibt, um eine schnelle Gruppe zu erreichen, um auf der Gegengerade relativ entspannt im Windschatten fahren zu können. Zudem gehört einiges an Mut dazu sich mit Voll-Speed in die 180° Kehre zu legen.
Das Rennen – Schicht 1 (15:00 – 16:00)
Wie konnte es anders sein, gab es kurz vor dem Start noch einen Regenschauer so dass die Strasse schön eingenässt wurde. Mir wurde ausserdem die Ehre zuteil, als Startfahrer fungieren zu dürfen. Dies ist eine weitere Besonderheit von LeMans, denn auch bei Radrennen wird der sog. „LeMans-Start“ angewendet. Die Fahrräder stehen auf einer Seite der Rennstrecke und die Fahrer gegenüber. Exakt um 15:00 Uhr fällt der Startschuss. Alle laufen – mit Radschuehen etwas ungelenk - so schnell wie möglich zu ihren Rädern, aufsteigen, einklicken und los geht’s.
Wie üblich ist am Anfang der Adrenalin Spiegel der Teilnehmer so hoch, dass alle wie von der Tarantel gestochen losgefahren sind. Ich dachte mir, dass sich das schon legen würde, aber wie gesagt, ist es für die meisten kein Langstreckenrennen sondern nach einer Stunde kommt die Ablösung.
Hab mich dann auch anstecken lassen und versucht gleich an der ersten Gruppe dranzubleiben. Bergauf kein Problem aber bei der Abfahrt auf die erste 180° Kehre zu hat mein Verstand gewonnen. Trotz der nassen Strasse sind bei einigen anderen wohl die Sicherungen durchgeknallt und haben sich mit Vollgas in die Kurve gelegt. Der leicht ölig-gummierte Film auf dem Asphalt hat auch seinen Teil beigetragen und so haben einige Fahrer gleich auf der ersten Runde unliebsame Bekanntschaft mit dem Straßenbelag gemacht.
Die Angst vor einem Sturz war bei mir deutlich größer als der Respekt vor dem gefürchteten Gegenwind. Deshalb erste mal „halblang“, meine Schicht hat ja eben erst begonnen und eine Stunde kann auch sehr lang sein. Nach 2-3 Runden habe ich einen guten Rhythmus gefunden und es auch meist geschafft mich in einer passenden Gruppe auf der Gegenwindpassage weitgehend zu schonen. Am Ende standen 9 Runden in einer Zeit von knapp 1:02h auf meinem Tacho. 36er Schnitt ist ok. Jetzt erst mal bis 21 Uhr Pause.
Schicht 2 (21:00 – 22:00)
Berti ist kurz vor Ende seiner ersten Schicht gestürzt. Mist! Nichts dramatisches passiert aber er kann nicht weiterfahren und der folgende Fahrer übernimmt. Deshalb ändern wir unseren Zeitplan: Über die Nacht fahren wir je 1,5 Stunden und kompensieren so den Ausfall von Berti. Die letzte Schicht ist dann wieder im normalen Rhythmus.
Während des Rennens keine besonderen Vorkommnisse. Vollgas am Anstieg, mutig und hirnlos in die erste Abfahrt und versuchen eine Gruppe zu erwischen. Ich fahre wie ein Uhrwerk, habe in der Zeit von 1:04h wieder 9 Runden geschafft.
Nachtschicht (4:00 – 5:30)
Nach der letzten Schicht habe ich erst mal ausgiebig gegessen. Anschließend versuchte ich auf dem mitgebrachten Feldbett in unserer Box etwas zu schlafen. Unmöglich bei dem permanenten Trubel! Deshalb habe ich mich ins Zelt verkrochen, den Wecker gestellt und bin bald darauf in einen tiefen Schlummer gefallen. Habe im Zelt so tief geschlafen, dass ich doch fast meinen Start verpennt hätte. Um 3:45 kam ich wieder zu Bewusstsein und bin in tiefster Nacht, schlaftrunken mit dem Rad von der spärlich beleuchteten Camping-Wiese zur Rennstrecke gefahren. Musste höllisch aufpassen mich nicht in irgendwelchen Zelten zu verheddern und in keines der zahlreichen Schlaglöcher zu fahren.
Die Müdigkeit steckte mir schon noch in den Knochen. Erinnerte mich deutlich an meine erste Trondheim-Oslo Teilnahme, bei der ich öfters fast vom Rad gekippt wäre. Die erste Runde wollte ich deshalb erst mal zum „wach werden“ etwas ruhiger angehen und habe mich aus diesem Grund in den Windschatten von einem Franzosen gehängt. Der fand das aber gar nicht lustig und hat dies durch gestikulieren, wiederholtes Bremsen und Beschleunigen deutlich zum Ausdruck gebracht. War mir aber total egal, hat er gebremst, bin ich eben langsamer gefahren, hat er beschleunigt, habe ich auch Gas gegeben. Irgendwann hat er entnervt aufgegeben und ist rechts an den Rand gefahren. Nach dieser aufregenden Runde war ich dann auch wieder wach und bin meinem Stil treu geblieben. Den Anstieg mit voll Power und auf der Abfahrt und der Gegengeraden versucht eine Gruppe zu erwischen. Hat auch meistens ganz gut geklappt. Am Ende waren 13 Runden auf meinem Tacho was durch Dunkelheit und Müdigkeit bedingt, einem Schnitt von 33km/h entsprach.
Schicht 4 (9:30 – 10:30)
Nach dem Adrenalinschub der Nachtschicht konnte ich zunächst nicht mehr schlafen, bin aber dann gegen 8 Uhr nochmal so müde geworden, dass ich wieder fast verpennt hätte. Zum Glück hat Berti mitgedacht und mich geistesgegenwärtig aus dem Schlaf gerissen. Wieder musste ich mich in aller Hektik anziehen und zur Rennstrecke hetzen. Vorher habe ich mir aber noch einen RedBull reingezogen, der auf nüchternen Magen in kürzester Zeit gezündet hat. Ich konnte regelrecht spüren, wie das Zeug in Muskeln und Hirn angekommen ist und mich wiederbelebt hat. Die erste Runde war noch etwas langsam aber dann habe ich die Flügel ausgepackt. Letzendlich habe ich meine obligatorischen 9 Runden in 1:03h, meinem 2-besten Ergebnis, absolviert.
Finale
Punkt 15:00 Uhr wurde die Zielflagge ausgefahren, jeder Fahrer durfte noch seine Runde zu Ende bringen und dann war Siegerehrung. Ein riesiges Spektakel, jeder der Fahrer, die zum Schluss auf der Strecke waren, durften durch ein Spalier von Menschen fahren und wurden heftig umjubelt.
Insgesamt belegten wir trotz dezimierter Mannschaft, mit 180 absolvierten Runden Platz 114 von 161. Mit meiner Gesamtleistung von 40 Runden (ca. 165km) bei einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 34,7 bin ich ebenfalls vollstens zufrieden. Offensichtlich konnte ich meine gute Form von Trondheim-Oslo weitgehend erhalten.
Links
Veranstalter 24h Velo in Le Mans
Statistik
Schicht | Runden | km | Zeit | km/h | Leistung |
15:00-16:00 Uhr | 9 | 37,08 | 1:02 | 35,9 | 201W |
21:00-22:00 Uhr | 9 | 37,08 | 1:04 | 34,8 | 186W |
4:00 - 5:30 Uhr | 13 | 53,56 | 1:36 | 33,5 | 179W |
9:30 - 10:30 Uhr | 9 | 37,08 | 1:03 | 35,3 | 196W |
Gesamt | 40 | 164,8 | 4:45 | 34,7 | 188W |