Die Wasserschlacht am Dovrefjell: Trondheim - Oslo 2013
Styrkeproven - 540 km Nonstop mit dem Rennrad
Meine Trondheim - Oslo Geschichte beginnt mitten im Winter, an Weihnachten 2011. Völlig unerwartet bekomme ich von meiner Frau ein Flugticket nach Oslo mit dem Hinweis geschenkt, dass ich "das" nun endlich mal "machen" könnte. Bei dem "das" handelt es sich um das legendäre Langstreckenrennen "Styrkeproven" und unter "machen" versteht man hier üblicherweise 540 Kilometer Radfahren am Stück. Leider wusste das meine liebe Frau zu dem Zeitpunkt nicht denn sie dachte es ist halt irgend so ein Rennen welches irgendwo in Norwegen stattfindet. Dass "das" nun auch viele Trainingskilometer bedeuten würde, habe ich ihr dann im Verlauf des Abends in homöopatischen Dosen verabreicht. Unglücklicherweise habe ich mir zwei Monate vor dieser wunderbaren Bescherung eine Knieverletzung bei einem Fahrradunfall zugezogen, die sich als ziemlich hartnäckig erwies. Die die daraus resultierende Knie-OP fand im April statt und bis zuletzt hoffte ich rechtzeitig fit zu werden. Letztendlich war das zu optimistisch und so musste ich meine Teilnahme im Mai schweren Herzens absagen. Der Eingriff an sich war erfolgreich und ich konnte Anfang Juni wieder mit dem systematischen Rennradtraining beginnen. Eines war jedenfalls klar: Nächstes Jahr bin ich in Trondheim am Start!
Die Vorbereitung
Das neue 2013 Jahr war kaum ein paar Tage alt, war die Anmeldung für das Rennen schon erledigt. Dies war für mich die Motivation um in das Trainingsprogramm für den Radmarathon einzusteigen. Mein Trainingsplan sah vor, dass ich bis zum Frühlingsanfang ausschließlich Grundlageneinheiten im Umfang von 2-4 Stunden durchführen wollte. Ab März/April sollten dann mehrere längere Einheiten von 150-200km folgen und im Mai sollten es dann noch ein bis zwei 300km Touren sein. Den Plan bezüglich der Grundlagen konnte ich einhalten, das schlechte Wetter von März bis Mai hat meine Vorbereitung erheblich durcheinandergebracht. Die 100-150km Einheiten waren zwar auch bei relativ schlechter Witterung möglich, allerdings hat eine dieser Einheiten mir dann auch eine hartnäckige Bronchitis eingebracht. Die 200er Tour an den Bodensee konnte ich deshalb erst am letzten Aprilwochenende bei sehr mäßigem Wetter durchführen; die gepante 300er Runde sogar erst Anfang Juni, also nur zwei Wochen vor dem Rennen. Trotz des bescheidenen Wetters habe ich von Januar bis Mai ca. 4200 Trainingskilometer zurückgelegt.
Das Rennen
Mein Kompagnon Helmut Munz hatte im Vorfeld die gesamte Reise nach Trondheim organisiert. Wohnmobil, Begleitfahrer (Bernd Heinel) und Fähre von Kiel nach Oslo waren gebucht. Alles in der gewohnten Munz’schen Perfektion. In Norwegen herrschte auch in der Woche vor dem Rennen bestes Wetter mit Sonnenschein und Temperatuen von bis zu 20°C. Wäre es so geblieben, wären das vermutlich die besten Bedingungen seit Anbeginn des Rennens gewesen. Leider hat sich dieses Hochdruckgebiet aber dann pünktlich zum Rennbeginn dauerhaft verabschiedet. Zunächst begann es ab 18:00 Uhr mit etwas Nieselregen der sich dann aber bis zum Start um 0:00 Uhr zu einem richtigen ergiebigen Niederschlag entwickelt hat. Helmut hatte sich wegen der schlechten Wetteraussichten kurzerhand entschieden das Rennen nicht anzutreten. Er hatte zu wenige Kilometer in den Beinen und auch gesundheitliche Bedenken, da der Dauerregen auch mit einer deutlichen Abkühlung verbunden war. An Schlaf war bei mir wegen der Aufregung auch nicht zu denken sodass ich gegen 22:00 Uhr mein Rad und mich selbst präpariert habe. Erstmalig kam meine neue Regenhose zum Einsatz die ich eigentlich nur für den absoluten Extremfall mitgenommen habe. Der ist - so schien mir - jetzt eingetreten! Um 23:30 habe ich mich dann mit zwei Radkollegen aus Engern im Startbereich getroffen, die wie ich in etwa 25 Stunden ins Ziel kommen wollten.Pünktlich um 0:00 Uhr fiel der Startschuss.
Trondheim – Dombas (Kilometer 198)
Von Trondheim führte die Strecke über die Reichsstraße E6, gesäumt von einem begeistertem Publikum und deren „Heja Heja“ Rufen, hinaus aus der Stadt. Hier kam bei mir zum ersten Mal etwas Euphorie auf, welche aber durch das Hinweisschild „Oslo 533km“ sofort wieder gedämpft wurde. Der Streckenverlauf sah vor, dass die ersten 160 km mit mäßiger Steigung stetig bergauf bis zur Hochebene von Dovrefjell führte. Zunächst war ich mit den beiden Engernern Fahrern unterwegs, musste mich aber nach ca. 80km von ihnen trennen, da diese für meine Verhältnisse viel zu langsam waren. Mein Puls kam gerade mal über 100 Schläge und ich begann erheblich zu frieren. Kurz nach der Verpflegungstelle Oppdalsporten (100 km) habe ich dann zu zwei Mitfahrern aus Weil (Fred und Urs Hagemann) aufgeschlossen. Diese beiden fuhren in etwa mein Tempo und wir bildeten eine kleine Gruppe um gemeinsam gegen den anhaltenden Dauerregen zu fluchen. Nach ca. 180 km passierte es dann. Ein seltsames Geräusch beim Schalten und unmittelbar dannach war mir klar: der Schaltzug ist gerissen. Die beiden Weiler fuhren weiter und ich haderte im Regen stehend mit meinem Schicksal. Was tun? Helmut anrufen! Zunächst hatte ich keine Verbindung aber es gelang mir dann doch irgendwann Kontakt aufzunehmen und ca. 25 min später war er da. Da wir leider keinen Schaltzug dabei hatten und sich zudem der Nippel im Schaltgriff verhakte war eine schnelle Reparatur nicht möglich. So bot mir Helmut kurzerhand sein Rennrad an. Dieses war zwar zwei Nummern zu groß für mich, aber nach einigen Umbaumaßnahmen war ich nach etwa 90 Minuten wieder auf der Piste.
Dombas – Lillehammer ( Kilometer 356)
Aufgrund meiner Panne habe ich die Verpflegungstation Dombas überfahren bin gleich weiter in Richtung Kvam gefahren. Während diesen 70, schier endlosen Kilometern, befiel mich eine enorme Müdigkeit. Klar, es war ja bereits nach 11:00 Uhr und somit war ich schon über 24 Stunden auf den Beinen und im Sattel. Immer wieder musste ich für ein bis zwei Minuten anhalten um nicht einzuschlafen. Während dieser Zeit ist es mir auch immer wieder passiert, dass ich Dinge gesehen habe, die nicht existierten. Ich hatte Halluzinationen. Mitten im Wald sah ich Autos, Häuser oder Menschen und wenn ich ein weiteres mal hinsah, hat es sich als Baum, Busch oder Leitplanke herausgestellt. Bei der nächsten Tankstelle machte ich dem Spuk ein Ende. Ein RedBull hat diesen bösen Geistern Flügel verliehen auf denen Sie alsbald weggeflogen sind. Auf den folgenden Kilometern bis Kvitfjell habe ich mich einer norwegischen Gruppe angeschlossen, die von einem Filmteam begleitet wurde. Ein Mitglied der Gruppe hatte im letzten Jahr einen Herzinfarkt und er wollte zeigen, dass bei einem gesunden Training auch eine Strecke von 540km mit dem Rad zu bewältigen ist. Ich stellte mich für ca. 50 Kilometer in seinen Dienst und habe meinen bescheidenen Windschatten gespendet. Um nicht zu viel Zeit zu verlieren bin ich ab der Verpflegungsstation Kvitfjell (km 320) wieder alleine weitergefahren. In der Zwischenzeit war es mir auch aufgefallen, dass der Regen aufgehört hat. Obwohl ich den Regen fürchte wie der Teufel das Weihwasser habe ich mich offensichtlich an diese elendige Nässe gewöhnt.
Lillehammer – Eidsvoll (Kilometer 483)
An der Verpflegungsstation Lillehammer war es dann so weit: ich konnte mich tatsächlich der Regenhose entledigen. Unendliche 18 Stunden und 24 Minuten war ich in dieser Plastikhülle unterwegs und war froh endlich „normale“ Radklamotten anzuziehen. Der Regenhose war ich aber trotzdem zu großem Dank verpflichtet denn ohne dieses Kleidungsstück hätte ich ob der penetranten Nässe vermutlich aufgegeben. Eine längere Pause hatte ich keine nötig, die Flügel des RedBull waren immernoch aufgespannt. Eine Banane, zwei Gels und etwas Flüssignahrung nachgetankt und schon gings wieder los. Vor dem kommenden letzten Teilstück bis Eidsvoll hatte ich gehörigen Respekt. Hatte ich doch in unzähligen Erfahrungsberichten gelesen, dass hier das Rennen erst beginnt und man bis Lillehammer das Pulver trocken halten sollte. Trocken? Klingt fast wie ein Witz. Bei dem Wetter war das unmöglich! Trotzdem befand ich mich in einer ausgesprochen guten Verfassung. Vielleicht lag es an den kurzen Radhosen oder an den lächerlichen 190 km die noch zu fahren waren. Jedenfalls verspürte ich weder Müdigkeit noch schwere Beine. Keine 10 Minuten nachdem ich wieder unterwegs war, bemerkte ich von hinten ein Team näherkommen. Mindestens 30 Mann stark mit Begleitfahrzeugen und Signallicht ausgestatten, war die Mannschaft des „Team Jaeren“ - kaum schneller als ich – zu mir aufgefahren. Das war die Gelegenheit für mich wieder etwas Zeit gutzumachen. Ich konnte mich in deren Windschatten sehr gut halten und bin die nächsten 130km mit einem 35er Schnitt im Team mitgefahren. Vom Teamkapitän habe ich dann erfahren, dass dieses Team mit einer Zielzeit von 17 Stunden unterwegs ist. Dies war die schönste Erfahrung die ich bislang in meinem Rennradleben gemacht habe, denn es war ein enormes Gefühl von Begleitfahrzeugen eskortiert durch die Strassen zu fliegen und vom Publikum frenetisch angefeuert zu werden. Leider habe ich dabei auch die Verpflegungsstelle in Eidsvoll übersehen, denn ich hatte keinen Brennstoff mehr bei mir. So musste ich nicht nur das Team verlassen sondern auch noch ca. 5km zurückfahren um mich mit Helmut bei der Verpflegung zu treffen.
Eidsvoll – Oslo (Kilometer 551)
Nachdem ich die Pause bei Eidsvoll genutzt habe, um mich zu verpflegen und Kleidung aufzurüsten (es war inzwischen nach 23:00 Uhr), habe ich mich auf das letzte Teilstück bis Oslo begeben. Nur noch 60km, das war überschaubar, dachte ich! Allerdings habe ich die Rechnung ohne das Wetter und das Streckenprofil gemacht. Wie hätte es auch anders sein können, setzte nun wieder Regen ein. Das hatte ich nicht mehr erwartet. In kurzer Radbekleidung - lediglich Armlinge und Windweste dabei - ging es mühsam gegen jede Welle und gegen Wind und Regen. Gruppenbildung war keine mehr möglich, jeder Fahrer kämpfte nur noch gegen sich selbst. Inzwischen ist auch mein Garmin ausgefallen und ich hatte absolut keine Ahnung wie weit ich noch von Oslo entfernt bin. Eigentlich wähnte ich mich bereits kurz vor dem Ziel, als ich einen Streckenposten fragte und dieser mir eröffnete, dass es noch 16 Kilometer sind. Eigentlich ein Witz aber wenn man denkt es sind höchstens noch 500 Meter kann das ganz schön deprimieren. Diese letzten Kilometer führten dann ständig auf und ab, teilweise auf der Autobahn und durch ein Industriegebiet. Der Schluss ist diesem Rennen absolut unwürdig. Letztendlich habe ich das Ziel doch noch erreicht. Trotz Panne und Dauerregen von mehr als 16 Stunden, bin ich nach 26:35 h (Netto 22:45h) über die Ziellinie gefahren. Kein großes Aufheben im Zielbereich, ein paar Bilder, ein Offizieller schüttelt mir die Hand und hängt mir die obligatorische Medallie um. Das wars. Nach zwei Stunden Wartezeit in der Eishalle und der Roten-Kreuz Baracke, trafen endlich meine beiden Begleiter Helmut und Bernd ein. Sie mussten an der letzten Verpflegung in Eidsvoll auf einen der Engerner Kollegen warten. Dieser kam dann letztendlich auch nach 30 Stunden ins Ziel während der andere wegen der schlechten Wetterbedingungen leider aufgeben musste.
Fazit
Der Styrkeproven war für mich ein riesiges Abenteuer und eine echte Herausforderung. Es ist zwar ein hartes Rennen, aber unter "normalen" Wetterbedingungen ist das für jeden halbwegs gut trainierten Rennradfahrer machbar. Entscheidend für das Ankommen ist vor allem die Technik (hab ich leidvoll erfahren) und die Kleidung. Da ich noch keinen Erfahrungsbericht gelesen habe, in dem es nicht geregnet hat, sind Schutzbleche und Regenhose ein Muss denn nur so lässt sich die Nässe von unten wirkungsvoll abwehren. Wer sich den Luxus eines Begleitfahrzeuges leisten kann dem würde ich das unbedingt empfehlen. So ist auch einmal eine Pause abseits der Verpflegungsstellen möglich. Das gefürchtete Teilstück ab Lillehammer habe ich mir schlimmer vorgestellt. Es kommen zwar unzählige Anstiege, diese sind aber nicht besonders steil (max. 5-6%) und auch nicht besonders lange (2-3km). Voraussetzung ist allerdings, dass man sich vorher nicht schon zu stark verausgabt hat.
Eines ist auch sicher. Sollte ich nochmal an diesem Rennen teilnehmen dann nur mit Helmut Munz. Er hat mich während der gesamten Zeit optimal betreut, mich motiviert und auch noch sein Rad bereitgestellt. Danke Helmut!
Video
Um einen Eindruck von den Wetterverhältnissen zu bekommen, hier ein Video des diesjährigen Rennens (Flachpassage auf der Hochebene bei Dovrefjel ca. bei Kilometer 160)
Streckenprofil
Web Links