Kurz aber nicht Schmerzlos - Den Lille Styrkeprøven 2018
Von Lillehammer nach Oslo mit dem SK Rye
Ok, ist es schon soweit? Werde ich am Ende „alt“? Seit 2013 immer an der Großen Kraftprobe (Den Store Styrkeprøven) teilgenommen und nun das? „Lille“ das norwegische Wort für „klein“ gibt einen Hinweis darauf, dass es sich bei diesem Rennen um die „kleine Kraftprobe“ des großen Bruders „Trondheim-Oslo“ handelt und von Lillehammer nach Oslo führt. Nach der letztjährigen erfolgreichen Teilnahme am richtigen Styrkeprøven war dieses Jahr eigentlich Pause geplant. Zumindest wollte ich nicht offiziel Radfahren sondern maximal meinen Freund Helmut bei seinem Vorhaben unterstützen. Doch ich hätte diesen Bericht nicht geschrieben, wenn es nicht doch anders gekommen wäre.
Die Vorbereitung
Seit Februar liefen die Planungen für das große Rennen und hierbei war ich lediglich als Begleitfahrer des Wohnmobils vorgesehen. Die Hauptperson sollte eigentlich Helmut Munz sein, der nach seinem Unfall im letzten Jahr, bei dem er sich die vordere Oberschenkel Muskulatur abgerissen hatte, nun fast wieder rekonvalesziert ist. Eigentlich! Beruflich war ich auch häufig in Berlin unterwegs, so dass ich das ein oder andere Training auslassen musste. Deshalb wollte ich eigentlich keine größere Herausforderung in diesem Jahr angehen. Eigentlich!
Anfang Mai, ca. 6 Wochen vor dem Rennen wurde das Eigentliche offensichtlich. Helmut wird nicht in der Lage sein, eine Strecke von 540km halbwegs frei von Schmerzen zu fahren. Die Verletzung war zu stark und die Genesung leider nicht so weit fortgeschritten dass das medizinisch vertretbar gewesen wäre. Da Helmut aber vom Typ „Alles oder Nichts“ ist, war die kürzere Strecke von Lillehammer (immerhin auch 190km) keine Alternative für ihn. Da aber alles schon geplant und gebucht war (Fähre, Wohnmobil, Urlaub) und ich deutlich weniger Probleme damit hatte, auch mal die kleine Strecke zu fahren, habe ich mich entschieden selbst in Norwegen an den Start zu gehen. Einzig mein Trainingszustand war nicht der Beste aber es waren noch 6 Wochen Zeit um mich halbwegs in Form zu bringen. Meine norwegischen Radkollegen hatten auch auf der kurzen Strecke drei Teams am Start und somit war meine Anmeldung lediglich eine Formsache. Formsache war auch die Anmeldung am Hafjell-Trainingslager des SK Rye bei dem an zwei Tagen ca. 360km (Oslo – Lillehammer – Oslo) im Trainingsmodus gefahren wird.
Leider war der Aufbau der körperlichen Form definitiv keine Sache derselben sondern eine schmerzhafte Herausforderung. In weniger als 3 Wochen musste ich in der Lage sein, um an dem Trainingslager teilzunehmen und in 6 Wochen benötigte ich die notwendige Härte um das Rennen zu bestehen.
Der Plan der zweiten Mannschaft des SK Rye war, die 190km in ca. 5 bis 5 1/2 Stunden zu fahren. Das entspricht einem Schnitt von etwa 35-38 km/h. Sind die denn völlig verrückt oder sind die wirklich so gut drauf? Klar liegen zwischen 35 und 38km/h mindestens 1-2 Welten aber ich bewege mich maximal im Bereich von 30km/h und das sind nochmal 2-3 Level darunter. Deshalb war mein Plan ganz klar: Am Anfang so lange es geht mitfahren (so 50-60km) und dann den Rest alleine um einen 30er Schnitt ins Ziel zu retten. Das Training musste ich deshalb so effektiv wie möglich auslegen. Die Grundlagen waren vorhanden und deshalb setzte ich hauptsächlich auf Intervalle um mich schnellstmöglich in Form zu bekommen.
Mein ultimativer Trainingsplan für die nächsten 6 Wochen sah folgendes vor:
- Wöchentlich 2x Intervalltraining von mindestens 2h mit mehreren EB Anteilen
- Wochentlich 1x Langstrecke (90-100km) hauptsächlich GA2
- 2x Langstrecke (180km) Trainingslager in Norwegen mit Kreiseltraining
- Zwei Wochen vor dem Rennen: Intensives Trainingslager im Münstertal mit drei aufeinanderfolgenden Trainingseinheiten (Berg-) Intervalltraining
- 6 Tage vor dem Rennen: Langstrecke (100-120km) mit mehreren EB Intervallen von ca. 5 Minuten
- 5 Tage vor dem Rennen: Rekon-Training (GA1)
- 1 Tag vor dem Rennen: Warmup von 2h mit kurzen EB Intervallen von max 2 Minuten.
Das alleine wäre ja nicht sonderlich anstrengend gewesen. Hinzu kam aber, dass ich im gleichen Zeitraum mindestens 3kg an Gewicht verlieren wollte. Das zeigte sich im Nachhinein, dass dies quasi unmöglich war. Der Zuwachs an Muskelmasse arbeitete dem Verlust an Fett so stark entgegen, dass am Ende die jämmerliche Bilanz von -1kg zu Buche stand.
Nach diesen 6 harten Wochen fahre ich am Montag den 11. Juni mit dem Rekordgewicht von knapp unter 70kg und einem extrem flauen Gefühl im Bauch nach Norwegen. Glücklicherweise habe ich meine Frau im Wohnmobil dabei, die mit ihren teilweise spontanen Ideen für ausreichend Zerstreuung gesorgt hat. Fähre ging am Dienstag morgen von Kiel nach Oslo und so hatten wir Mittwoch und Donnerstag zwei volle Tage die wir in Norwegens Hauptstadt nutzen konnten. Am Freitag sind wir tagsüber langsam in Richtung Lillehammer gefahren um auf der Hütte von Josef Noll im Wintersportgebiet "Sjusjøen" zu übernachten.
Am Freitag Abend vor dem Rennen habe ich mich dann erstmals mit meinen Mannschaftskollegen von Rye 2 in deren Quartier getroffen, um meine Mitfahrer kennenzulernen und das Rennen abzustimmen. Deren Übernachtung war im etwa 20km nördlich gelegenen Freizeitpark „Hunderfossen“, den ich von meinen vormaligen Teilnahmen sehr gut kannte. Nach dem Termin konnte ich zumindest gut schlafen, denn mein Eindruck war, dass wenige aus dieser Mannschaft nur ansatzweise einen Schnitt von 38km/h über die gesamte Strecke fahren können.
Das Rennen
Die Übernachtung in Josefs Hütte war perfekt. Tolle Lage, ein richtiges Bett und vor allem ein gutes Frühstück. Um 6:30 war Abfahrt, denn für die 25km auf kurvigem Terrain bis Lillehammer werde ich mit dem etwas sperrigen Wohnmobil sicher um die 45 Minuten brauchen. So waren wir dann pünktlich um kurz nach 7 Uhr im Startbereich und konnten uns auf das Rennen einstimmen.
Der Start war exakt um 7:55 und es ging gleich ordentlich zur Sache. Wir waren im Startblock zusammen mit einer sehr ambitionierten Mannschaft und sind so, trotz dem sehr welligen Streckenprofil, in deren Windschatten die ersten 20km mit einem flotten Schnitt von 37km/h unterwegs gewesen. In dieser Geschwindigkeit fahre ich so nicht mehr lange weiter, dachte ich. Vermutlich war ich nicht der einzige war der diese Gedanken hatte denn kurz darauf gab es auch schon die ersten Zwischenrufe meiner Mannschaftskollegen und bald danach haben wir die wilde Verfolgungsfahrt beendet und waren fortan etwas langsamer unterwegs. Leider waren wir somit auch dem penetranten Gegenwind ausgesetzt mussten deshalb bis zum Ziel in Oslo selbst „arbeiten“ und setzten den obligatorischen Kreisel in Gang.
Erstaunlicherweise konnte ich sehr gut mithalten. Das Training der letzten Wochen zeigte seine Wirkung. Der Blick in die Gesichter einiger meiner Mannschaftskollegen sagte mir, dass die kaum besser in Form sind als ich. Anspruch und Wirklichkeit lagen hier deutlich auseinander. Dies grämte offensichtlich auch unseren Mannschaftskapitän, der versuchte uns zu einer etwas höheren Geschwindigkeit zu motivieren, denn 5:30 waren das Mindestziel was sich die Mannschaft gesetzt hatte. Wir werden sehen, dachte ich mir.
Nach etwas mehr als der Hälfte der Strecke war unsere einzige Verpflegungsstation bei Eidsvoll erreicht. Die Organisation war definitiv nicht so gut wie bei den Kollegen auf der Langstrecke, es fehlte eindeutig an Disziplin. Iris hat mich aber mit allem Notwendigen versorgt und waren es doch ab hier nur noch laue 80km. Die Laune unseres Kapitäns hat sich auch nicht verbessert, denn inzwischen waren wir auf einen Schnitt von 33,9km/h zurückgefallen. Das lag natürlich hauptsächlich an dem heftigen Wind der uns unablässig aus südlicher Richtung ins Gesicht geblasen hat. Zudem haben wir keinen Anschluß zu einer anderen Mannschaft gefunden. Entweder waren andere Teams deutlich zu schnell oder zu langsam für uns.
Positiv stimmte uns das vor uns liegende Streckenprofil, denn es wurde etwas weniger wellig. Vor uns lag nur noch ein einziger ernstzunehmender Anstieg, der, kurz vor Oslo gelegen, gleichzeitig der steilste des gesamten Rennens war und unter den Teilnehmern immer Angst und Schrecken verbreitet. Auf den ca. 2km müssen 120hm überwunden werden mit Rampen von bis zu 10%. Das kann in der Tat schmerzen, besonders wenn man schon über 500km in den Beinen hat. Für uns auf der Kurzstrecke sollte das eigentlich kein Problem sein. Trotz der einfacher werdenden Strecke, schwanden die Kräfte der Mannschaft dahin. Ein Fahrer nach dem anderen hat sich in den hinteren Teil verabschiedet und von den ursprünglich 15 Fahrern hat sich nur etwa die Hälfte am Kreisel beteiligt. An mir lag es jedenfalls nicht, ich habe mir während des ganzen Rennens nur zwei Auszeiten im „Schlafwagen“ genehmigt.
So sind wir - nach Ansicht unseres Kapitäns eher schlecht als recht - nach 5:43h mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 33,6km/h in Oslo angekommen. Wir waren jedoch nicht das einzige Team mit Problemen. Die erste Mannschaft von Rye hat ihr gestecktes Ziel ebenfalls nicht erreicht und sind "erst" nach 4:54h (statt 4:30h) als zweitplatzierte Mannschaft ins Ziel gekommen. Vermutlich lag das an dem wirklich starken Gegenwind der die ganze Strecke geweht hat. Für mich war die Zeit perfekt, unser Mannschaftskapitän war aber derartig zerknirscht, dass er zum Abschluß nicht mal ein Bier mit uns trinken wollte.
In der Nacht habe ich dann meine Kumpels der Mannschaft Rye 17 (mit denen ich auch das Trainingslager verbracht habe) im Ziel in Empfang genommen und gleichzeitig mein Versprechen eingelöst, dass es für jeden ein richtiges deutsches Bier gibt. Hierfür habe ich extra einen Kasten "Geroldsecker" am norwegischen Zoll vorbeigeschmuggelt. Damit habe ich eine wesentliche mentale Aufbauarbeit geleistet, da auch Rye 17 das gestecktes Ziel nicht erreicht hat und "erst" nach 18:27 in Oslo angekommen sind. Unter den äußeren Bedingungen aber eine mehr als respektable Leistung! Leider ist mein Freund Mathieu im wahrsten Sinne des Wortes "auf der Strecke geblieben". Er musste wegen starker Kniebeschwerden aufgeben, weshalb ich ihn am vorletzten Stop bei Eidsvoll abgeholt habe.
Fazit
Der kleine Styrkeprøven hat definitiv nicht den Reiz wie das richtige Rennen. Dafür sind die ca. 190km einfach zu wenig. Es wäre tatsächlich eine Herausforderung für mich gewesen, wenn ich dieses Rennen mit einer Geschwindigkeit von 35km/h oder schneller fahren hätte müssen, aber meine Ambitionen liegen eher auf der Langstrecke und da reicht diese Entfernung nicht aus. Trotzdem war es eine gute Erfahrung die zeigt, dass man mit einer guten Grundlage und gezieltem Training eine ordentliche Leistung erzielen kann. Eine „Kindergartenveranstaltung“ war es trotz der nicht erreichten Ziele definitiv nicht.
Wie gehts weiter?
Direkt nach dem Rennen hat mir Mathieu gesagt, dass er nie mehr Trondheim-Oslo fahren wird. Das sind wirklich schlechte Nachrichten. Ist er doch neben Josef mein Ankerpunkt in Norwegen. Wenige Wochen später kommt aber die Anfrage von Rye 17, ob ich nicht Teil der Mannschaft sein möchte, die 2019 an der Vättern-Rundfahrt in Schweden mitfährt? Es handelt sich hierbei um ein Rennen über 300km um den Vätternsee und ist die größte Rennveranstaltung in Europa mit mehr 35.000 Teilnehmern. Was soll ich dazu sagen?
Etwas Statistik
- Länge: 192km
- Höhendifferenz: 1.330hm
- Zeit: 5:43 (brutto) - 5:37 (netto, ohne Pause)
- Ø Geschwindigkeit: 33,6km/h (brutto) - 34,2km/h (netto, ohne Pause)
- Ø Herzfrequenz: 139bpm
- Ø Leistung: 164W
- Energiebedarf: 3.100kcal
- Platz: 389. von 1561, AK: 68. von 231
Links
- Ergebnisliste
- Strava Aufzeichnung des Rennens
- Streckenprofil
- Meine verschiedenen Teilnahmen an dem Rennen: 2013, 2014, 2016 und 2017
- Styrkeprøven
- Wikipedia
- Der SK Rye
- Die Vättern Rundfahrt in Schweden